10 Days Vipassana Meditation Course

Ja, ich habe es geschafft - 10 Tage Vipassana Meditation. Ich weiß nicht, ob ihr wisst, was Vipassana ist und was es bedeutet?
Ich habe lange überlegt, wie ich den Artikel über meine Erfahrungen während der 10 Tage schreibe. In Kurzfassung und oberflächlich? Oder doch ausführlicher? Diese Zeit war zu wichtig für mich, um nur oberflächlich darüber zu schreiben. Deshalb die ausführliche Variante, denn eine Kurzfassung kann nicht all das wiedergeben, was ich während der Zeit erlebt habe. Jetzt ist tatsächlich ein langer, langer Artikel daraus geworden. Ihr braucht also Zeit zum Lesen........
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber zuerst einmal dachte ich immer, Meditation ist nur im Schneidersitz auf dem Boden zu sitzen, die Augen zu schließen und versuchen, an nichts zu denken. Ich sollte eines Besseren belehrt werden.
Eine kleine Einführung zum besseren Verstehen, wen es interessiert.
Was ist Vipassana?
https://www.dhamma.org/de/about/vipassana


1.7.2017 …..11:00 Uhr - das Taxi hält nach kurzer Fahrt am Straßenrand. Dort sehe ich ein heruntergekommenes Schild auf dem steht „Dhamma Pokhara Vipassana Meditation Center“ – nur wo ist es? Der Taxifahrer erklärt mir, ich müsse jetzt den Weg dort in den Wald hinter laufen und dann würde ich direkt darauf stoßen. Also tue ich es. Ich denke noch, wenn das Center genau so raussieht, wie das Schild, na dann Prost Mahlzeit! Es ist brütend heiß in der Sonne, gefühlte 40 Grad….Zwischen den Bäumen erblicke ich rötliche flache Gebäude…das muss es sein. Ich laufe nur ein paar Minuten, dann bin ich auch schon da. Es sieht wirklich alles etwas runter gekommen aus. Aber was habe ich denn erwartet?  Sicher kein 4 Sterne Luxus……und eigentlich, wenn ich ehrlich bin, gar nichts. Ich habe mir mehr über die Meditation Gedanken gemacht,  als über die Unterkunft.

 In einer kleinen, nach einer Seite offenen Halle steht vorn ein Tisch mit Bänken und hinter diesem noch ein anderer An dem sitzen 2 Herren (Khim, der Leiter des Centers, sieht aus wie ein kleiner Chinese und A.T. Ichadga Karki, so der Name des Lehrers, ein hagerer älterer Nepali mit einer großen Brille). Sie sitzen da und registrieren die Kursteilnehmer. Vor mir sind schon ein einige Backpacker, ein paar andere Menschen laufen rum und ich muss mich erst einmal orientieren. Ich setze mich auf die Bank und sehe die anderen farbige Zettel ausfüllen. Khim ruft mich zu sich und fragt, ob ich angemeldet bin. „No, I´m on the waiting list.“, antworte ich. Ja, ich muss warten, ob überhaupt noch ein Bett für mich frei ist. Also suche ich mir wieder einen Platz. Neben mir sitzt ein junger Mann und füllt ebenfalls den Papierkram aus, wir kommen ins Gespräch. Nach ein paar Worten merkt er wahrscheinlich an meinem schlechten Englisch, dass ich kein Muttersprachler bin und fragt mich, wo ich her komme. „Germany“, sage ich wiedermal. „Okay…wir können auch deutsch reden. „Ich bin Tobias und komme aus Südtirol.“, so seine Antwort.  Ja fein!! Tobias hat schon mehrere Vipassana Kurse absolviert und so konnte ich ihn mit meinen Fragen löchern. Was muss ich beachten? Worauf muss ich achten?  Was wird mich erwarten?…..ich hatte ja überhaupt keine Ahnung. Billie hatte mir zwar eine Broschüre auf mein Handy geladen, aber die umfasste über 100 Seiten und das auf Englisch und dafür hatte ich keine Nerven. Also war ich dankbar für die Tipps von Tobias, unter anderem nicht zu verbissen an die Sache zu gehen.

Nach und nach kommen immer mehr an….lauter junge Leute, Jungs und Mädels von überall aus der Welt und ich bin die Älteste!!!.....Alle sehen mit ihren Klamotten und Rucksäcken aus, als ob sie schon ewig traveln und alle warten, bis sie dran sind. Manchen geht es wie mir…sie stehen auf der Warteliste - insgesamt 6 Leute – mit mir zwei Japanerinnen, eine Mexikanerin, ein Däne, ein Australier. Einer Japanerin geht es gesundheitlich  gar nicht gut – sie plagt Diarrhöe (Durchfall), kann sich kaum auf den Beinen halten und  sieht aus wie eine wandelnde Leiche. Tapfer ..denke ich!! Es ist heiß und zum Glück gibt es Wasser kostenlos zum trinken. Wir warten und warten…mittlerweile ist es schon halb 3. Ich erfahre, dass die Registrierung um 16:30 Uhr endet und ich dann erst erfahre, ob ich einen Platz bekomme. Ohje…also weiter warten…..Ich beobachte….….Die potentiellen Schüler müssen alles abgeben…Reisepass, Geld, Wertsachen, Bücher, Laptop, Tablet, Tagebücher, Uhren, Schreibzeug, Zigaretten, Tabak, Handy, Kamera,  selbst Talismane.  Alle persönlichen Sachen kommen in eine Stofftasche, die mit einer Nummer markiert ist. Der Geldbeutel wird in einen großen Briefumschlag gesteckt, zugeklebt und unterschrieben.  Die Handys werden ebenfalls mit einer Nummer gekennzeichnet, alle zusammen in einem Korb gepackt und der Pass wird separat gesammelt. Alles wird in einem großen Buch fein säuberlich festgehalten und zusätzlich auf einen Zettel notiert,  den man dann ausgehändigt bekommt.  Nach und nach werden alle registrierten Leute von den Volontärs (freiwilligen Helfern) auf ihre Zimmer gebracht – getrennt nach Männlein und Weiblein. Zwischendurch erschleicht mich ein ungutes Gefühl….was tue ich hier eigentlich? Ist das richtig, was ich hier mache? Ich bekomme Panik….oh je kein Handy…dann habe ich auch keine Uhr!!! Wie soll ich es ohne Uhr aushalten? Wie soll ich denn wissen, wann ich wann wo sein soll?

Viktor, ein junger Russe, ich schätze so Mitte 20, kommt zu mir, gibt mir seine Hand und schaut mich dabei mit seinen großen braunen, starren Augen durchdringend an. Ich bekomme ein mulmiges Gefühl. Er schaut, als ob ich ein Geist bin und ich denke:“ Oh Gott , was hat er jetzt in dir gesehen!?“ Er hält meine Hand fest, wünscht mir, dass ich einen Platz bekomme und wir uns nach den 10 Tagen wiedersehen, dann verabschiedet er sich. Mir wird einen Moment ganz anders. Viktor ist mir unheimlich. Schon als er ankam fiel er mir auf. Seine hagere, aber sehr grazile Gestalt und seine langsamen weiblichen Bewegungen erinnert mich an einen Balletttänzer. Er trägt Haremshosen und ein weites ärmelloses Top. Auf seiner schönen glatten Haut kann ich nicht ein einziges Haar entdecken, außer auf dem Kopf - da trägt er nen rausgewachsenen Irokesen. Aber diese Augen!! Die sind einfach unheimlich!!
Ein wenig später gibt uns der Lehrer ein Zeichen und sagt uns Wartenden, dass wir an dem Kurs teilnehmen können. Mir und einer Japanerin wird mitgeteilt, dass es zwar einen Sitz in der Meditation Hall für uns gibt, aber kein Bett. Wir müssten in der Mini – Hall auf dem Boden schlafen. Es gäbe auch ne Matratze…okay… Jetzt warte ich schon 5 Stunden, also egal…dann schlafe ich eben auf dem Boden!!  Jetzt gibt es kein zurück. Ich muss die Formulare ausfüllen und alle persönliche Sachen, inklusive meiner Zigaretten abgeben…jetzt wird es ernst. Der Teacher sagt noch zu mir, ich werde es schaffen und wenn es hart wird, dann soll ich kämpfen. Ich verstehe seine Worte zu dem Zeitpunkt noch nicht…

Das Center befindet sich in Hanglage, weitläufig an einem Hügel oberhalb des Begnas-Lake mitten in der Wildnis. Es besteht aus zwei Areas (einer für Frauen und einer für Männer). Ganz oben befindet sich der Speisesaal ziemlich luftig, ohne Türen, aber immerhin mit Fenster, in der Mitte durch eine mannhohe Mauer getrennt. Rechts essen die Männer, links die Frauen. Man kann sich nicht sehen. Es gibt keine Tische in dem Raum. Die Essplätze befinden sich rundherum an den Mauern, davor jeweils ein Plastikhocker. Jeder Essplatz ist mit einer Nummer an der Wand gekennzeichnet. Auf jedem Platz finden wir einen Teller, einen Becher, 2 Schüsseln und einen Löffel, alles aus Edelstahl, nicht aus Alu…Gott sei Dank…Wenn man aus der Dinning-Hall rauskommt, blickt man auf ein kleines Lehmhäuschen, bei welchem man sich auch fragt, aus welchem Jahrhundert das stammt. Das ist  die Unterkunft des Lehrers.
Wir werden von Cathy, der Volontär aus Kanada, zu unserer Bleibe gebracht. Einfache Steinplatten führen als Treppen und Pfad durch das ganze, etwas verwilderte, Gelände. Von hier aus hat man einen wunderschönen Blick über den See und die umliegende grüne Landschaft. In der Mitte, etwas entfernt, sehe ich ein größeres Gebäude, die Meditation-Hall, obendrüber die kleine Mini-Hall, welches unsere Unterkunft sein soll. Vor der großen Meditationshalle, in Richtung See entdecke ich noch einen umzäunten, abgesperrter Bereich – ein Stück Wiese am Ende des Hügels mit freier Sicht, ohne Bäume. Ich frage mich noch, warum wir da nicht drauf dürfen, denn von dort aus hat man sicher den schönsten Blick auf den See.  Links neben der kleinen Halle steht noch ein separater Toilettentrakt (natürlich Steh-Klo) mit Outside-Waschbecken. Den Hang hinunter erkenne ich untereinander 2 größere Bungalows, in denen sich die Zimmer für die Frauen befinden.  An der Eingangstür der Mini-Hall, einem alten Lehm Haus angekommen, empfängt uns erst einmal ein Bienenstock. Wir sollen vorsichtig sein…und das sind wir!! ..Aber so was von !! Ich passe auf, dass ich nicht mit meinem Rucksack daran hängen bleibe. Wir betreten gebückt einen Raum, so ca. 20qm groß. Die Fenster sind eher kleine Gucklöcher mit löchrigen Fliegengittern, ohne Scheiben, die Wände sind mit rotem Lehm verputzt…..doch Mittelalter!? In einer Ecke auf dem Boden finden wir 2 Matratzen. Ein Gestank kommt mir entgegen….der erinnert mich an meinen feuchten Altbaukeller zu Hause….einfach nur schimmlig, eklig und modrig. Ich weiß nicht, wie viele Leute vor mir darin geschlafen haben. Oh mein Gott!! Trotzdem bin ich noch hoch motiviert und nichts ahnend. Wir suchen uns aus einem Haufen zwei Moskitonetze ohne Löcher. Zum Glück hab ich ne Wäscheleine und 2 Schnüre von meiner Bergausrüstung dabei und so basteln wir uns daraus eine lustige Moskitonetz-Konstruktion, jeweils über unserer Matratze. Außerdem verbarrikadieren wir die eine Eingangstür, wegen dem Bienenstock, ebenfalls mit einem Moskitonetz. Zum Glück gibt es 2 Eingänge.  Ich hänge meine zwei Khata's (Khata = buddhistischer Begrüßungschal) über einen Holzbalken in meiner Ecke, um es ein bisschen wohnlicher zu machen……hilft nicht wirklich. Außerdem suche ich meine kleinen Parfümproben und sprühe den schönen Loius Vuitton Duft auf mein Bettzeug, in der Hoffnung, es hilft.  Khau, so heißt meine Zimmergenossin, bekommt sofort die Panik, als ein paar Mücken durch die löchrigen Fenster kommen und um sie herum schwirren. „Ohhhhh Moskiiiiitoooo, Moskiiiiitoooo!!“ wild fuchteln ihre Arme herum, und schon fängt sie an, ihre Stiche mit Teebaumöl zu verarzten. Sie spricht fast kein englisch und noch lachen wir…!

Um 18 Uhr dann treffen sich alle Schüler gemeinsam in der Dinning Hall auf der Seite der Männer zur Einweisung. Der Raum füllt sich. Ich versuche durchzuzählen….20 Frauen und 17 Männer aus allen Nationen ( Nepal, Australien, Dänemark, Kanada, Russland, Spanien, Japan, Indonesien, Taiwan, USA, Türkei, Rumänien, Schweiz, Frankreich, Italien und Deutschland). Mit mir vertritt William auf der männlichen  Seite die deutsche Nation. Ja, William ist ein doch tatsächlich ein echter Deutscher aus Bielefeld. Ein lustiger Typ, ich schätze so Anfang 40 und hoch gewachsen. Er kam mit einem riesigen 20kg Rucksack an, vollgepackt mit dicken Büchern und allen möglichen Kram…. dicken Klamotten für die Berge und dünnen für die wärmeren Gefilde. Typisch deutsch halt …. Man weiß ja nie, was man braucht! Ich lache noch und dann denke ich, mir geht es ja genau so….  Er hatte seinen Job als Projektmanager gekündigt und reist seit 6 Monaten um die Welt.
Noch dürfen wir reden, aber kaum einer tut es. Es herrscht eine angespannte Stimmung. Manche sind ‚Old Student‘ und wissen, was sie erwartet, aber die meisten haben Vipassana noch nicht praktiziert, so wie ich. Khim, der Manager sitzt in der Mitte des Raumes an einem Tisch und fängt an in einem sehr undeutlichen Englisch uns die Regeln vorzulesen.  Ich habe Mühe dem Genuschel zu folgen und ich bin nicht die einzige, die sich fragend umschaut.  Die Kursteilnehmer müssen sich bereit erklären, die vollen 10 Tage des Kurses zu bleiben. Wie soll man auch gehen, wenn man keinen Pass und kein Geld hat….Man muss bereit sein, ernsthaft an und mit sich zu arbeiten und folgende Regeln einhalten:
1. von Kursbeginn an, bis zum Morgen des letzten vollen Kurstages „Edle Stille“
    einhalten. Das heißt, nicht sprechen. Jede Art von Kommunikation mit den
    anderen, einschließlich Gesten, Zeichensprache und geschriebene Notizen sind
    nicht erlaubt.
2. kein lebendes Wesen zu töten (dazu zählen auch alle Insekten)
3. nicht zu stehlen
4. sich jeglicher sexueller Aktivitäten zu enthalten
5. nicht zu Lügen
6. keine Rauschmittel (einschließlich Tabak und Alkohol) zu sich zu nehmen.
7. keine Nahrung nach 12 Uhr mittags für die Old Student (die neuen bekommen 
    um 17 Uhr noch etwas)
8. auf sinnliche Vergnügen und Körperschmuck zu verzichten
9. keinerlei sportlichen Aktivitäten, wie Yoga o.a. zu praktizieren
Die Kursteilnehmer müssen sich bereit erklären,  den Anweisungen und Hinweisen des Lehrers für die Dauer des Kurses genauestens Folge zu leisten und genau so zu meditieren, wie der Lehrer es ihnen sagt. Dessen sollte sich jeder bewusst sein. Während der Gruppensitzungen darf der Raum nicht verlassen werden….und…und…und….

Dieser Tagesablauf soll mich nun für die nächsten 10 Tage erwarten:
04:00   Gong   Aufstehen
04:30 – 06:30 Meditation in der Halle
06:30 – 08:00 Frühstückspause
08:00 – 09:00 Gruppenmeditation in der Halle
09:00 – 11:00 Meditation in der Halle oder nach Anweisung des Lehrers
11:00 – 12:00 Mittagessen
12:00 – 13:00 Ruhepause und Gelegenheit zum Interview mit dem Lehrer
13:00 – 14:30 Meditation in der Halle
14:30 – 15:30 Gruppenmeditation in der Halle
15:30 – 17:00 Meditation in der Halle oder nach Anweisung des Lehrers
17:00 – 18:00 Teepause
18:00 – 19:00 Gruppenmeditation in der Halle
19:00 – 20:15 Discourse/ Vortrag von S.N.Goenka
20:15 – 21:00 Gruppenmeditation in der Halle
21:00 – 21:30 Zeit für öffentliche Fragen an den Lehrer
21:30  Nachtruhe / Licht aus

Dann liest er alle Namen laut vor und vergibt zu jedem Namen eine Nummer. Ich bekomme A2 zugeteilt. Das heißt, mein Sitz in der Meditation-Hall und mein Platz in der Dinning-Hall ist A2. Nach ca. einer halben Stunde ist er fertig.  Wir sollen nun alle zusammen in die Meditation-Hall zu unserem Platz gehen. Tobias kommt lächelnd auf mich zu und gibt mir seine Taschenuhr. Er hat mitbekommen,  dass ich Panik bekommen habe, bei dem Gedanken keine Uhr zu haben. Ich schaue ihn an und frage, ob er die nicht selbst braucht, aber er verneint und sagt, er käme auch ohne zurecht. Ich freue mich wie ein kleines Kind und bin so unendlich dankbar. Erleichterung macht sich breit, jedenfalls fürs erste. Und so verschwinden die Männer auf ihrer Seite und die Frauen auf der anderen, bevor wir uns in der Meditation-Hall wieder sehen.
Zwischenzeitlichen ist es dunkel geworden. Wir ziehen die Schuhe aus bevor wir die Halle durch den Vorhang betreten.  Die Männer kommen durch einen separaten Eingang. Auf dem Boden sind über den ganzen Raum hellblaue Meditationskissen fein säuberlich aufgereiht und vor jedem Kissen liegt wieder eine Nummer. In der Mitte markiert ein hellblaues Band wiederum die Trennung zwischen Männer- und Frauenbereich. Ganz vorne stehen, mit Blickrichtung in den Raum,  zwei riesen große, mit weißen Laken bedeckten Sessel. Einer vor dem Frauen -und einer vor dem Männerbereich.  Sie erinnern an eine Art Thron.  In der Mitte ein abgedeckter Fernseher. Auf dem einen Thron auf der Männerseite sitzt bereits der Teacher, ganz
in weiß gekleidet im Meditationssitz und beobachtet stillschweigend seine neuen Schützlinge. Ich suche meinen Platz…A2…der erste Platz in der zweiten Reihe und setzte mich, wie alle anderen im Schneidersitz auf das Kissen, gespannt was nun passiert. Alle sind mucksmäuschenstill. Der Lehrer greift neben sich, drückt ein paar Knöpfe an einer Art Stereoanlage und durch die Lautsprecher ertönt die Stimme von S.N. Goenka https://de.m.wikipedia.org/wiki/Satya_Narayan_Goenka dem führenden Lehrer der Vipassana Meditation  Es sind komische Geräusche, die er von sich gibt….es hört sich an wie Sprechgesang mit schnaufen und quieken mit Worten, die ich in meinem Leben noch nicht gehört habe. Ich muss mich zusammenreißen,  dass ich nicht anfange zu lachen. Alles kommt mir so fremd vor. Ich komme mir vor, wie in einer Sekte - vorn erhoben der Guru auf dem Thron und sein Gefolge sitzt unter ihm. Die Stimme sollte mich nun 10 Tage begleiten und das Lachen wird mir noch vergehen. Uns wird in der Einführung dann sozusagen ein Gelübde abgenommen, dass wir uns an die Regeln halten werden und es wird erklärt, wie wir in den 10 Tagen arbeiten. Die ersten 3 Tage werden wir uns in der Meditation nur auf unseren natürlichen Atem konzentrieren, wie er durch die Nasenlöcher ein- und ausströmt, bevor wir beginnen Vipassana zu praktizieren und damit fangen wir gleich an. Also los geht’s - Augen schließen und durch die Nase natürlich ein und ausatmen, Anapana nennt man das. Es ist ganz still im Raum. Ich weiß immer noch nicht, was auf mich zukommt, aber bin frohen Mutes. Alles ist irgendwie aufregend. Ich versuche mich auf meinen Atem zu konzentrieren, ohne Schnappatmung zu bekommen. Alles mögliche schießt mir durch den Kopf. Meine Beine tun mir schon nach kurzer Zeit weh und ich frage mich, wie ich es 10 Stunden am Tag, 10 Tage lang in dieser Position aushalten soll? Schließlich sitze ich einfach nur da, bin still und warte. Nach ca. einer halben Stunde ertönt wieder die Stimme von Goenka aus dem Lautsprecher und gibt uns zu verstehen, dass die kleine Einführungssitzung nun vorbei ist und ab jetzt die 10 Tage beginnen und mit dem die „edle Stille“, das heißt Schweigen. Wir stehen langsam auf, bewegen uns wie in Zeitlupe andächtig aus dem Raum und begeben uns auf unsere Zimmer.
Dort angekommen lege ich mich unter das Moskitonetz auf meine stinkende, modrige Matratze,  neben mir die Taschenuhr von Tobias und meine Stirnlampe für evtl. Toilettenbesuche in der Nacht. Das schöne Parfüm hat leider nichts geholfen……es stinkt nur anders schlimm. Ich bin kaputt von dem ganzen Tag, mit den vielen Eindrücken und schlafe trotz Gestank relativ schnell ein.
04:00 Uhr, der Gong weckt uns und ich bin müde von einer unruhigen Nacht. Es ist noch stockdunkel draußen. Ich fühle mich eklig und habe das Gefühl, dass mein ganzer Körper nach Schimmel riecht. Khau kriecht neben mir auch aus ihrer Höhle hervor. Ich ziehe mich an und laufe zur Meditation-Hall. Unterwegs sehe ich, wie sich jeder einzelne wie in Zeitlupe schlaftrunken in Richtung Halle bewegt. Ich setze mich im Schneidersitz auf meinen Platz. Ich weiß, was ich machen muss…..Augen zu und auf die Atmung konzentrieren und das jetzt ganze 2 Stunden lang – eine Ewigkeit!! Mein Geist ist unruhig und befasst sich eher damit, wie ich das jetzt 2 Stunden lang aushalten soll. 2 Stunden am Stück im Schneidersitz und auf die Atmung konzentrieren – ich bekomme die Krise! Immer wieder versuche ich mich zu konzentrieren und nicht darüber nachzudenken. Meine Beine tun weh und so bin ich damit beschäftigt, immer wieder eine neue Position einzunehmen. Raus aus dem Schneidersitz……kleines Kissen unter den Hintern……….Beine angewinkelt schräg nach rechts…..schräg nach links…..auf den Beinen sitzend mit Kissen dazwischen, sitzen und Beine anwinkeln….. Ich finde einfach keine Position, in der mir die Beine nicht weh tun. Ich habe das Gefühl, ich bin die einzige, der es so geht. Vor mir in der ersten Reihe sitzen die, die bereits einen oder mehrere Kurse mitgemacht haben, wie Buddha´s ohne eine einzige Bewegung, angewurzelt da. Ich weiß nicht, wie spät es ist und wie lange ich schon sitze und noch sitzen muss. Immer wieder sage ich mir, ich muss mich auf die Atmung konzentrieren und schon jetzt begreife ich, dass es harte 10 Tage werden würden. Harte 10 Tage die Konzentration auf seinen Geist und seinen Körper zu richten. Der Gong ertönt und die 2 Stunden sind rum – geschafft!!

Draußen ist es hell geworden und wir alle bewegen und schweigend Richtung Dinning-Hall. Dort angekommen stehen die 2 Volontärs, Cathy aus Kanada und Maria aus Brasilien,  hinter einem Tisch und geben jedem seine Frühstücksration – es gibt Porridge, Curry, Kekse und Tee. Ungewöhnliches Frühstück für Westler. Jeder setzt sich auf seinen Platz. Man hört nur das klappern des Geschirrs. Nachdem man fertig ist, wäscht jeder sein Geschirr draußen an einem großen Trog ab und stellt es wieder nass zurück auf seinen Platz. Ich schau auf die Uhr und freue mich, dass ich noch knapp ne Stunde Zeit habe, bevor die nächste Meditationsrunde startet. Ich gehe zurück zu meiner Bleibe und sehe, wie Khau dabei ist, ihr ganzes Bettzeug nach draußen an die frische Luft bugsiert. Gute Idee!!, denke ich und fange ebenfalls an, die stinkenden Laken und die Matratze draußen in der Sonne zu verteilen. Mittlerweile hat sich Khau in dem Raum auf den Boden gelegt und sieht aus, als ob sie schläft. Ich schaue wieder auf die Uhr – noch ne halbe Stunde Zeit. Ich lege mich ebenfalls auf den Boden, schließe die Augen und versuche Ruhe zu finden. Es gelingt mir nicht. Ich stehe auf, gehe nach draußen und laufe in dem Areal umher. Es ist sehr warm. Ich versuche den schönen Blick zu genießen. In der Ferne, am anderen Ende des Sees erkenne ich auf dem Hügel meine Lodge von gestern. Dann höre ich den Gong und ich mach mich auf den Weg zur Meditation-Hall. Der Lehrer sitzt schon da und nach und nach trudeln alle ein. Die nächste Runde beginnt. Wieder 2 Stunden, mit einer 5minütigen Pause dazwischen. Hinsetzen und auf den Atem konzentrieren, wie er durch die Nasenlöcher ein- und ausströmt. Und das war meine Aufgabe für die nächsten 3 Tage in jeder Sitzung. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht!! Immer wieder schweifen meine Gedanken ab und ich kann mich nur kurze Zeit konzentrieren. Ich ärgere mich über mich selbst, dass es mir nicht gelingt. Und je mehr ich mich ärgere, um so unruhiger werde ich. Nach einiger Zeit gibt der Lehrer Cathy ein Zeichen. Sie steht auf, holt 4 kleine Kissen und breitet sie nebeneinander vor dem Thron des Lehrers aus. Dann ruft er uns mit unseren Vornamen einzeln auf und so sitzen wir in kleinen 4er-Gruppen vor ihm unten auf dem Boden.  Er blickt auf uns herab und fängt an, zu udns zu sprechen und uns die Technik nochmals zu erklären. Wir sitzen wie Schulkinder vor ihm und hören aufmerksam zu. Dann dürfen wir kurz mit ihm gemeinsam meditieren,  bevor wir wieder auf unsere Plätze zurück geschickt werden.  Auch diese 2 Stunden gehen irgendwie vorbei, es ist 11 Uhr und Mittagspause. Gleiches Prozedere wie beim Frühstück. Wir stehen alle brav hintereinander und warten, bis wir aufgeschöpft bekommen. Es gibt typisch nepalesisches einfaches Essen – Reis, Gemüse und Dal aber lecker. Im Speiseraum liegt ein Zettel aus, auf dem man sich eintragen kann, wenn man einen Gesprächstermin mit dem Lehrer wünscht. Noch habe ich keine Fragen.

Ich wende mein Bettzeug in der Sonne, doch der Gestank nimmt nicht ab und wenn ich daran denke, noch eine Nacht in dem Stinkzeug zu schlafen, wird mir schlecht…..Ich nutze die Zeit für eine Dusche. Die befinden sich an den Bungalows weiter unten. Warmes Wasser gibt es nur 2 mal kurz zur Frühstücks- bzw. Mittagspause und manchmal gar nicht, wenn zu viele vor einen duschen waren. So langsam finde ich kalt duschen ziemlich gut und bei der Hitze ist es sehr erfrischend – zu Hause nicht vorstellbar für mich alte Frostbeule, die selbst bei 30 Grad noch heiß duscht.
Der Gong ertönt abermals. Zum Glück hängt der Tagesablauf nochmal groß an der Meditation-Hall und ich schaue, was jetzt als nächstes kommt. Ich lese ..13:00 – 14:30 Meditation in the Hall, 14:30 – 15:30 Group-Meditation in the Hall, 15:30 – 17:00 Meditation in the Hall ….das sind 4 Stunden!! Oh mein Gott!! Wie soll ich das schaffen??!! Aber hilft ja nix….
Ich schließe die Augen und versuche mich abermals auf den Atem zu konzentrieren. Aus den Lautsprecher ertönt wieder der Gesang und die Anweisung von Goenka. Ich besinne mich, warum ich hier bin und höre genau zu. Durch die Nase einatmen………durch die Nase ausatmen…..Immer wieder gelingt es mir nur kurze Zeit aufmerksam zu sein, meine Gedanken wandern sonst wohin und ich denke, wann ist endlich die Zeit rum!? Zwischen den einzelnen Sitzungen haben wir jeweils 5 Minuten Pause. Die Zeit nutze ich für Dehnübungen, da mir wiedermal alle Knochen weh tun. Ja, ja……jetzt merke ich, dass ich so lange keinen Sport gemacht habe. Nach einer gefühlten Ewigkeit…endlich der Gong! Es ist geschafft! Ich bin soooo froh!! Steif vom Sitzen erhebe ich mich wie in Zeitlupe von meinem Kissen. Überhaupt läuft alles sehr bedächtig und wie in Zeitlupe ab – wir laufen alle langsam, jeder mit sich selbst beschäftigt. Wir laufen aneinander vorbei, ohne den anderen und wenn, dann nur flüchtig und ohne Mimik anzuschauen – Achtsamkeit, nennt man so etwas. Jetzt haben wir 1 Stunde Teepause, was auch gleichzeitig unser Abendessen sein soll. Wieder reihen wir uns hintereinander in der Dinning-Hall auf und bekommen diesmal eine Portion von einer Art Puffreis. Auf jedem Platz steht zusätzlich noch eine kleine Schüssel mit geschnittenen Stückchen Obst und dazu gibt es Tee.

Bei der Gelegenheit sollte erwähnt werden, dass das Vipassana Retreat ausschließlich durch Spenden finanziert wird. Es wird keine bestimmte Summe von den Kursteilnehmern verlangt. Am Ende gibt jeder das, was es ihm wert war, oder er sich leisten kann und finanziert und ermöglicht somit den Kurs für die nächsten Teilnehmer.

Ich muss nach meinem Bettzeug schauen. Khau ist schon dabei, fleißig ihre Sachen wieder einzuräumen. Mein Zeug riecht immer noch, trotzdem schleppe ich alles zurück in die Mini-Hall. Maria kommt zu uns und flüstert, dass unten in dem ersten Bungalow noch Decken liegen, die wir uns holen könnten. Wir schauen nach und stellen fest, die riechen nicht besser. Also lassen wir sie liegen. Ich kann nicht noch eine Nacht in dem Stinkzeug schlafen, und so entscheide ich mich, dass ganze in die Ecke zu schmeißen und einfach mit meinem Schlafsack-Inlett auf dem blanken Boden zu schlafen. So schlimm kann es ja nicht werden, da hier in Nepal alle Betten wie Beton sind. Ich denke an mein schönes weiches kuschliges Bett zu Hause……
Ich schaue auf die Uhr und in dem Moment höre ich auch schon den Gong. Auf geht’s in die nächste Runde. Diesmal mit Stirnlampe bewaffnet, denn das dauert jetzt wieder 3 Stunden, mit kurzen Pausen und dann ist es draußen dunkel. Wieder sitzen……..Augen schließen…….auf den Atem konzentrieren…..den natürlichen Fluss des Atems beobachten…….ruhig durch die Nase ein- und ausatmen. Zwischendurch muss ich so oft meine Sitzposition ändern. Das geschieht auch langsam mit geschlossenen Augen, wie in Zeitlupe, um die anderen nicht zu stören. Zwischendurch blinzle ich mal, um zu schauen, was die anderen um mich herum machen – keiner bewegt sich, alle sitzen wie versteinert, selbst der Lehrer vorne auf seinem Thron. Ich versuche wieder Ruhe zu finden und atmen….atmen….atmen…..Der Gong erlöst mich nach einer Stunde. Kurze Pause, Beine vertreten, bevor der nächste Gong uns anzeigt, dass wir wieder zurück in die Halle müssen. Ich sehe, dass der Fernseher in der Mitte abgedeckt ist. Ich werde von einer Volontäre gebeten, ganz hinten Platz zu nehmen. Ich sehe einen kleinen Hocker, darauf einen CD-Player mit Kopfhörern, daneben ein Sitzkissen. Juhu..ich freue mich, hatte ich doch gestern gefragt, ob ich die Discourse (Vorträge) nicht in deutscher Sprache hören kann. Tobias gab mir den Tipp und das war ein sehr Wertvoller, wie ich nach dem, über einer Stunde dauernden Vortrag, merken sollte.  Ich bin auch nicht die einzige, neben mir sitzt Khau und hört die japanische Übersetzung und noch eine andere die Französische. Der Lehrer sitzt neben mir auf einem Plastikstuhl und knipst mit der Fernbedienung den Fernseher vorne an. Wir schalten parallel die Übersetzung an. Auf dem TV erscheint im Großformat sitzend S.N.Goenka, neben ihm seine Frau. Er fängt an zu sprechen, ich schaue andächtig nach vorne und lausche gespannt der deutschen Übersetzung in meinen Ohren. Der tägliche Discourse ist eine Zusammenfassung des Tages und sehr hilfreich, die Technik, den Hintergrund, das Warum und das Wie zu verstehen. Goenka macht das auf eine sehr angenehme Art und Weise und er lässt es sich nicht nehmen, einen auch ab und zu mal zum lachen zu bringen. Er hat so recht mit seinen Worten über das Leben und ich bin sehr beeindruckt von diesem Mann, der leider nicht mehr unter uns weilt. Ich sitze etwas entspannter, mit dem Rücken angelehnt zur Wand und so vergeht die Stunde ausnahmsweise wie im Flug. Danach, mit dem Wissen aus dem Vortrag und unserer Arbeit für den nächsten Tag, meditieren wir nochmal eine halbe Stunde, bevor der letzte Gong schlägt und mir sagt, JA ich habe den ersten Tag geschafft!! Ich bin erleichtert. Dieser Tagesablauf wird mich nun die restlichen 9 Tage begleiten und ich frage mich, wie ich das schaffen soll!!??
Ich schlüpfe unter mein Moskitonetz, bastle mir noch ein Kissen aus meiner Daunenjacke und meinem Fleecepulli, bevor ich in mein dünnes Schlafsack-Inlett verschwinde. Der Boden ist doch ganz schön hart, aber immer noch besser als noch eine Nacht im Gestank zu schlafen. Ich schaue auf die Uhr, 21:30. Stirnlampe aus und schlafen.

4 Uhr…..der Gong ertönt. Mir tun alle Knochen weh von der Nacht. Schlaftrunken, mit halb geschlossenen Augen, stehe ich auf. Der zweite Tag beginnt wie der erste....……..MEDITIEREN, MEDITIEREN, MEDITIEREN……
In der Frühstückspause ordne ich meine Sachen und als ich mein "Kissen" zur Seite mache, schaue ich auf ein schwarzes Insekt …Ich kann es erst nicht richtig erkennen, bei dem schlechten Licht in dem Raum und ohne Brille……. Also schnell Brille suchen....und was ich dann sehe, lässt mich etwas erschrecken – Es ist ein schwarzer Skorpion. Er ist zwar klein, aber trotzdem bin ich geschockt. Ich suche Khau. Wir dürfen zwar nicht miteinander kommunizieren, aber das ist mir in dem Fall egal. In der Ecke finde ich ein Blatt Papier und einen Stift und so schreibe ich in großen Buchstaben „SCORPION“ drauf. Ich tippe ihr auf die Schulter, gebe ihr zu verstehen, dass ich da etwas in unserer Unterkunft gesehen habe und zeige ihr den Zettel. Sie reißt ihre kleinen schmalen Augen auf und schaut mich ebenfalls erschrocken an. Sofort kommt sie mit mir und ich zeige ihr das Tier. Wir geben uns zu verstehen, dass ich hier auf das Ding aufpasse, schau, wo es hinläuft und sie holt jemanden. Kurze Zeit später kommt sie mit Maria und einem Mann vorbei, den ich vorher noch nicht gesehen hatte. Gott sei Dank hat sich der Skorpion nicht bewegt und sitzt noch an der gleichen Stelle. Die beiden schauen sich an, dann nimmt der Typ ein Stück Papier und schiebt das Teil mit seinem Schuh drauf, bevor er es draußen auf der Männerseite wieder frei lässt. Wohlgemerkt – Wir dürfen kein Tier töten! Die beiden lachen und geben uns zu verstehen, dass wir hier halt mitten im Regenwald sind und da kann es schon einmal passieren das so ein Tier sich verläuft. Das beruhigt uns in keinster Weise und so schreibt Khau auf den Zettel, dass wir zu Khim gehen sollten. Erst der Gestank und dann der Skorpion.....das ist zuviel und ich bin dankbar, dass Khau genau so denkt. Also….Scheiß auf NICHT reden und auf die Suche nach Khim, dem Manager. Wir gehen zu der Hütte des Lehrers. Er kommt aus der Tür und Khau fängt an, ganz aufgeregt zu sagen: „MENEMENT, MENENMENT“ …Der Lehrer schaut sie mit fragenden Augen an und sagt: „I don´t understand.....What?!" Ich greife ein und versuche mit meinem Stammel-Englisch die Situation zu erklären. „Wir können nicht in dem Gestank schlafen und jetzt hatten wir auch noch einen Skorpion im Zimmer. Normalerweise bin ich nicht so pingelig, aber das ist eine Zumutung. So können wir uns nicht auf die Meditation konzentrieren. Können wir nicht woanders schlafen? Vielleicht in der Meditationshalle? Der Lehrer schaut mich an und schmunzelt. Er holt Khim und erklärt ihm unser Problem. Khim gibt uns zu verstehen, dass es nicht erlaubt ist, in der Meditation-Hall zu schlafen und er hätte jetzt keine Lösung, würde aber überlegen.
Der Gong schlägt, die Frühstückspause ist vorbei und wir begeben uns enttäuscht in die Meditationshalle. Meine Gedanken sollten den ganzen Tag nur um Gestank und Skorpion schwirren. Ich bekomme Panik. Mir fällt es erst so schwer, mich während der Meditation zu konzentrieren und jetzt muss ich auch noch mit den widrigen Umständen klar kommen. Das ist ganz schön viel auf einmal. Auch die beiden Volontäre haben unser Problem mitbekommen. Es hilft nichts....ich kann mich nicht damit arrangieren. Am Abend nutzen Khau und ich nochmal die Interview-Runde, um dem Lehrer nichts über die Technik zu fragen, sondern wir sitzen beide unglücklich vor ihm auf dem Boden und betteln nach einer Lösung.  Nach kurzer Zeit kommen Cathy und Maria zu uns in den Schneidersitz und sagen dem Lehrer, dass sie uns ihre Betten geben würden, aber erst morgen. Wir sind überglücklich und ich bedanke mich tausendmal. Ein Lichtblick.....noch eine Nacht in der Höhle....die schaffe ich auch noch.....und das tue ich.

Nach einer weiteren Nacht auf dem harten Boden und ohne neuen Tierbesuch wache ich mit dem morgendlichen Gongschlag auf. Meine Laune hat sich gebessert, wohlweislich, dass ich heute umziehen kann. Dies tun wir dann in der Mittagspause. Cathy sagt mir wo ich meine neue Bleibe finde. Ich packe meinen ganzen Krempel in den Rucksack und mach mich auf den Weg Bungalow zu dem Bungalow ganz unten am Waldrand. Zimmer F7, ich betrete den Raum, nicht größer als 5qm. Rechts auf den Betonsteinen eine Holzplatte mit einer Matratze. Das ist mein Bett und hinten unter dem Fenster quer entdecke ich ein Lager mit vielen Decken auf dem Boden. Ich habe also eine Zimmergenossin. Zuerst mal rieche ich an der Matratze....okay...besser. Ich suche in dem kleinen Zimmer einen Platz wo ich meinen Rucksack hinlegen kann und schmeiße mein Schlafsack-Inlett und mein selbstgebasteltes Kissen aufs Bett. Schnell noch duschen, meine vielen Mückenstiche verarzten und mich ordentlich mit ´Anti Brum´eindieseln. Die Tür geht auf und eine südländisch aussehende Frau, so Mitte 30 betritt freundlich lächelnd das Zimmer, meine Zimmergenossin. Ich lächle zurück. Ich kann mich an sie erinnern. Ich hab sie bei der Registrierung gesehen. Sie kommt aus Mexiko, das hatte ich mitbekommen, ihren Namen weiß ich nicht. Das Lachen vergeht ihr sofort, als sie im Raum den Gestank von meinem Anti-Mückenspray riecht. Und da wir nicht reden dürfen, gibt sie mir mit Gestiken und wedelnden Händen vor ihrer Nase zu verstehen, dass ich mich doch lieber draußen einsprühen solle. Sie brummelt etwas vor sich hin, schmeißt sich auf ihre Matratze am Boden und kramt aus ihrem Rucksack Räucherstäbchen hervor, die sie sofort anzündet. Ich frage mich, wie sie die hier rein schmuggeln konnte? Erst denke ich, was für eine blöde Kuh.......später fand ich, sie hatte recht. Das Zeug stinkt wirklich extrem.
Dann höre ich schon wieder den Gong. Ich bin etwas entspannter als ich wieder meinen Platz in der Meditationshalle einnehme. 4 Stunden, mit kurzen Unterbrechungen liegen abermals vor mir. Am Anfang gelingt es mir relativ gut, mich zu konzentrieren, doch je länger es dauert, um so unruhiger werden mein Körper und meine Gedanken. Gleiches Spiel - unruhig + Ärger über mich selbst = noch unruhiger. Ich spüre einen schweren Druck auf meiner Brust. Ich halte es nicht aus, stehe auf und verlasse den Raum. Ich versuche ruhig zu atmen, mich wieder zu beruhigen und zu hoffen, dass die Zeit schnell vergeht. Dann kommt Cathy hinter mir her und fragt ob alles okay ist. Ich erkläre ihr, dass ich nicht mehr sitzen kann, mir die Beine und der Rücken weh tun und ich mich deshalb nicht konzentrieren kann. Sie gibt mir 5 Minuten, dann muss ich wieder rein. In der Pause um 17 Uhr laufe ich eine Runde in dem wildwüchsigen Areal umher. Und dann schießt es aus mir raus. Ich kann meine Tränen nicht mehr zurück halten. Was tue ich hier!!?? Ich kann das nicht !!! Ich schaffe das nicht!!! Wie soll ich es hier noch so lange aushalten!!?? Ich laufe langsam, heule vor mich hin und bedaure mich selbst. Ich sehe Julia vor mir, wie sie auf mich einredet:" Mama, du schaffst das!! Stell dich nicht so an!!" und Marcus erscheint und sagt zu mir:" Da musst du jetzt durch und es wird dir helfen, glaub mir!!". Ich wollte meditieren, ich hatte gespürt, dass ich es machen muss und jetzt bin ich hier. Ich kann nicht aufgeben!!  Ich habe keine andere Wahl und versuche durchzuatmen und mich zu beruhigen. Spätestens jetzt verstehe ich, was der Lehrer mit "Kämpfen" meinte und ich spüre, dass es für mich eine riesen große Herausforderung wird. Ein Kampf mit meinen Gedanken, meinem Ego und meinem Körper.Ich bin froh, als der Tag geschafft ist und ich mich auf eine halbwegs geruchlose Matratze legen kann. Ich schlüpfe in meinen Schlafsack und kuschel mich in mein selbstgebasteltes Kissen. 

Nach meinem emotionalen Tag gestern und mit der Akzeptanz, dass die Dinge so sind, wie sie eben sind, gehe ich etwas gelassener, mit mehr innerlicher Ruhe in den 4.Tag. Die 3 Tage, des nur auf den Atem konzentrierens, sind vorbei. Heute bekommen wir eine zusätzliche Aufgabe. Wir sollen unsere Aufmerksamkeit, während des Ein- und Ausatmens auf den Bereich zwischen den Nasenlöchern und der Oberlippe lenken. Fühlen, spüren und sensibilisieren auf Empfindungen in diesem Bereich. Das ist die Aufgabe für den heutigen Tag. Ich konzentriere mich und irgendwann, nach langer Zeit des ruhigen wieder Ein- und Ausatmens kann ich tatsächlich dort ein kribbeln spüren. Ich konnte meinen Geist auf diesen Punkt lenken. Ich habe das erste mal das Gefühl, dass ich die Practice verstanden habe. Ich freue mich!
Die Kunst ist es jedoch, diesem Gefühl keine Aufmerksamkeit zu schenken. Das heißt in einfachen Worten – man hat irgend ein Gefühl im Körper, etwas krabbelt, juckt oder man hat einen Kloß im Hals, spürt einen Druck in der Brust oder man hat ein schönes angenehmes Gefühl, egal welche Empfindungen (Sensations) man hat, nicht darüber nachzudenken, sondern einfach beobachten (observe)  und dieser mit Gleichmut ( equanimity = Gelassenheit, Gleichmut) zu begegnen - zu akzeptieren, dass diese Empfindung da ist, ohne reinsteigern und werten. Verstehen, dass ALLES entsteht und auch wieder vergeht. Entstehen, Vergehen = Anicca (Anitscha ausgesprochen)  Voraussetzung dafür ist ein ruhiger Geist.
In einem der abendlichen Discourse sagt Goenka sinngemäß, ´Vipassana ist eine geistige Operation am eigenen Körper. Wir haben nur oberflächlich die Kontrolle über unseren Körper, aber die inneren Organe arbeiten außerhalb unserer Kontrolle. Wir wissen nichts über die biochemischen Vorgänge, die innerhalb unseres Körpers ablaufen. Teilchen entstehen und vergehen im ununterbrochenen Fluss. Materie = Entstehen und Vergehen. Unser Körper ist ein Strom von Wellen und Teilchen.ˋ
Ein wahres Zitat: „The goal of meditation isn´t to control your thoughts, it´s to stop letting them control you.“

Am 5.Tag beginnen wir dann damit, Vipassana zu praktizieren. Mittlerweile, nach den ganzen Tagen habe ich auch eine Sitzposition gefunden, in der ich es länger als 5 Minuten aushalte. Zuerst konzentrieren wir uns wieder einige Zeit auf den Atem und dann gibt uns Goenka aus dem Lautsprecher die Anweisung, unsere ganze Aufmerksamkeit erst auf den Kopf zu lenken, dort gedanklich zu verweilen, zu beobachten welche Empfindungen erscheinen, dann weiter Richtung Nacken, verweilen, beobachten, Rücken, Arme, Beine nacheinander verweilen, beobachten was geschieht und allen Empfindungen im Körper mit Gleichmut begegnen. „only observe…observe…observe. Equanimity….equanimity……Anicca….anicca….anicca“ so ertönt es immer wieder durch den Lautsprecher.  Ich fühle mich sehr ruhig.  Plötzlich bekomme ich die biochemischen Vorgänge in meinem Körper aber so was von zu spüren. Mein ganzer Kopf fängt an zu kribbeln. Es ist als ob 1Million Ameisen in meinem Gesicht rumkrabbeln und mich anpieseln. Hitze steigt in mir auf und der Schweiß tropft mir runter. Oh mein Gott!!! Das tut soooooo weh!!! Was ist das??!! Wie soll ich diesem Schmerz mit Gleichmut begegnen?? Wie soll das gehen?? Da sitze ich nun und kämpfe mit mir und den Viechern. Meine Gedanken kontrollieren mich, anstatt umgekehrt. Immer wieder überrollen mich die Stiche wie Wellen. Es dauert eine Weile und ich fange an, mir die Worte von Goenka zu sagen……beobachten, beobachten, beobachten….Gleichmut, Gleichmut, Gleichmut…..entstehen, vergehen, entstehen, vergehen. Und tatsächlich, nach einer gefühlten Ewigkeit mit Schmerzen, merke ich, wie diese langsam weniger intensiv werden.  Es funktioniert!!! Ich bin erleichtert, beeindruckt und gleichzeitig fasziniert. Krass!! Unglaublich!! Ich denke noch eine Weile darüber nach, bevor ich mich wieder auf die Meditation besinne und versuche meinen Körper von Kopf bis Fuß, Stück für Stück zu beobachten. Es fällt mir schwer dies Abschnittsweise zu tun, so wie angewiesen. Ich spüre eher einen Fluss vom Kopf bis zu den Zehen. Denke aber nicht weiter darüber nach, sondern lasse es einfach geschehen. Nach diesem ereignisreichen Tag falle ich müde ins Bett.
Die restlichen 5 Tage beschäftigen wir uns nun intensiv mit den Empfindungen in unserem Körper. Ich dachte, nach meiner Erfahrung von gestern, dass nun alles wie von selbst läuft. Tut es aber nicht. Wieder und wieder wandern meine Gedanken während der Meditation überall hin. Wir sollen Empfindungen in allen Teilen des Körpers beobachten, doch die nächsten Tage sollten mich die Ameisen auf meinem Kopf und im Gesicht weiter beschäftigen. Zwar nicht mehr so intensiv, aber der Schmerz hindert daran, mich auf den Körper zu konzentrieren. Langsam kommen einige Fragen in mir auf und so trage ich mich in die Liste für einen Termin beim Lehrer ein.
Die privaten Interviews finden in der Mittagspause in der Meditationshalle statt. Da sitze ich nun auf dem Kissen am Boden, vor mir der Lehrer auf dem Thron. Ich erzähle ihm von meinem Ameisenerlebnis, und von dem ständigen Druck im Brustbereich. Er fängt an zu lachen und erklärt mir, dass er das gleiche Erlebnis hatte, als er anfing Vipassana zu praktizieren. Er erklärt mir weiter, dass das Gefühl, was ich hatte und immer noch vereinzelt habe, meine Sankharas sind. Es würde mir die Höhen und Tiefen in meinem Leben zeigen.
Dazu muss man verstehen, dass jedes Handeln, egal ob es eine Tat oder ein Gedanke ist, der als Wort geäußert wird, das heißt alles was wir tun und sagen, hinterlässt eine aktive Kraft. Bsp. Ich beleidige jemanden mit meinen Worten und derjenige ist dann verletzt und traurig = schlechtes Karma – Ursache-Wirkung-Prinzip. Oder ich helfe einem Menschen, ohne eigennützig und berechnend zu sein – er ist dankbar und freut sich = gutes Karma. Meine Millionen Ameisen sagen mir, dass ich in meinem Leben wohl nicht immer alles richtig gemacht habe. Aber wer hat das schon…….Der Lehrer sagt, ich solle dem weiter unbedingt mit Gleichmut begegnen, dann würden die Ameisen verschwinden und ich hätte mich von diesem Sankhara (schlechtes Karma) befreit. Ich frage ihn weiter, was ich tun kann, damit meine Gedanken während der Meditation nicht ständig umherwandern? Er lacht wieder und beruhigt mich, das wäre ganz normal. Allen Menschen hier im Raum würde das so gehen. Ich solle einfach akzeptieren und mir keine weiteren Gedanken darüber machen. Wenn das so einfach wäre!!
Die Mittagspause ist um und der Gong schlägt zur Gruppensitzung. Ich denke an die Worte des Lehrers und arbeite weitere viele Stunden mit den Ameisen…….Gleichmut, Gleichmut……Anicca….Anicca. Und plötzlich…..sie sind weg. Ich kann es kaum fassen….es funktioniert und bin sowas von happy, das ich mit schmunzelnden Gesicht den Tag beende.

In der Nacht wache ich plötzlich auf. Ich sehe einen Schatten an der Wand und greife nach meiner Stirnlampe. Vor meinem Gesicht sitzt doch tatsächlich eine 10 cm große fette Spinne. Ich springe aus dem Bett, in der Hoffnung meine Bettnachbarin nicht geweckt zu haben. Ich habe eigentlich keine Angst vor Spinnen, aber die Vorstellung, dass dieses fette Ding über mein Gesicht krabbeln könnte, finde ich dann doch ziemlich unangenehm. Nur was soll ich jetzt machen? Wir dürfen keine Tiere töten und wie soll ich die Spinne jetzt von der Wand bekommen? Ich suche nach meiner kleinen Plastiktasse und denke, ich könne sie damit fangen. Weit gefehlt …. Als ich gerade die Tasse ansetzen will, krabbelt sie in einer Affengeschwindigkeit quer über die Wand und verschwindet in dem Deckenhaufen meiner Mitbewohnerin. Mist! Jetzt schaut mich die Spinne zwar nicht mehr von der Wand an, aber irgendwo im Zimmer krabbelt sie noch rum. Ich besinne mich darauf, was ich in der Meditation gelernt habe……akzeptieren….die Dinge wie sie sind. Und jetzt ist es eben so, dass die Spinne irgendwo noch im Zimmer ist, und sie eventuell auch in der Nacht über mein Gesicht krabbeln könnte, aber ich kann es nicht ändern. Es sei denn ich schmeiße meine Bettnachbarin aus ihren riesigen Deckengelage und wir machen uns gemeinsam auf die Jagd. Lieber nicht…..und so lege ich mich einfach wieder hin, im guten Glauben, dass sie mich nicht überfallen wird. Überhaupt ist das mit den Insekten und hier so eine Sache für sich. Die Fenster und Türen sind nicht dicht.  In unserem Zimmer ist das Fenster, ob es regnet oder nicht,  immer offen, sonst würden wir bei der Enge Platzangst bekommen. Es hat zwar ein Netz davor, doch hat, wie kann es anders sein, auch ein paar Löcher.  Abends, wenn es dunkel ist, sammeln sich unzählige große und kleine, flatternder Insekten an den Lampen vor unseren Zimmertüren. Am schlimmsten vor dem Zimmer neben uns. Jeden Abend kämpfen sich die beiden Mädels wild um sich schlagend in ihr Zimmer. Das sieht ziemlich lustig aus, zumal wir ja keine Laute von uns geben dürfen.

Ich habe eine ruhige Nacht, ohne Spinne, bis uns der 4 Uhr Gong wieder weckt. Ich mag nicht aufstehen und dreh mich wieder um. Nach einer Zeit schau ich auf die Uhr….ohje….es ist 4:25 Uhr. Ohje… in 5 Minuten muss ich in der Halle sein. Meine Mexikanerin liegt auch noch im Bett. Ich knipse das Licht an, wir schauen uns an und müssen schmunzeln…..schnell etwas anziehen, keine Zeit zum Zähne putzen oder waschen. Wir trappen los. Draußen regnet es in Strömen. Wieder beginnt ein neuer Tag, ein neuer Meditationsmarathon über 10 Stunden. Ich habe jetzt zwar die Technik verstanden, dies jedoch in die Praxis umzusetzen, ist tägliche harte Arbeit, ist ein täglicher Kampf mit seinem Geist und seinem Körper und erfordert viel Disziplin. So kommt es, dass ich an Tag 7 wiedermal einen totalen emotionalen Hänger habe. Ich kann mich nicht konzentrieren und spüre nicht den Fluss im Körper. Wieder hat mein Geist mich im Griff. Ich sitze unruhig auf meinem Meditationskissen, wechsle ständig die Sitzposition und zerbreche mir den Kopf über das ´Warum funktioniert das jetzt nicht?´ Ich hab es doch schon einmal hinbekommen, warum klappt es jetzt nicht?´ Khau, die neben mir sitzt, fängt auf einmal an zu weinen. Sie kann sich gar nicht wieder beruhigen und rennt raus. Schräg hinter mir fängt die nächste zum schluchzen an. Auf der Männerseite höre ich von einem laute Schnaufgeräusche und dann ein jämmerliches Wimmern. So äußert es sich also, wenn auf einmal während der Meditation „die großen, schweren Steine vom Boden an die Oberfläche treten“. Davon hatte der Lehrer am Anfang gesprochen. Davon, dass durch die Meditation unsere tief vergrabenen, vergessen geglaubten Erlebnisse und unterdrückten Empfindungen uns auf einmal bewusst werden. Warum kommt bei mir nichts?, frage ich mich. Ich habe doch eigentlich genug erlebt. Warum kann ich nicht weinen? Mit diesen Fragen beschäftige ich mich nun den ganzen Tag während der Meditation, sodass ich keine Ruhe finde und nochmals das Gespräch mit dem Lehrer suche. Ich erkläre ihm wieder, dass ich nicht so lange in einer Position sitzen kann, ich so unruhig bin, und frage warum bei mir die Steine nicht an die Oberfläche kommen? Mache ich vielleicht etwas falsch? Er lächelt mich wieder an und erklärt mir, ich solle mich nicht auf die anderen konzentrieren oder an ihnen orientieren. Jeder Mensch ist anders. Ich soll Geduld haben, bei mir und bei meinem Geist bleiben und wenn ich merke, dass ich unruhig bin, dann soll ich beobachten und dem mit Gleichmut begegnen, immer mit dem Verständnis von Anicca, Anicca, Anicca – alles entsteht und alles vergeht. Ich weiß nicht, was ich mir für eine Antwort erhofft habe. Soll das wirklich die Lösung sein? Ich bin ratlos, enttäuscht und nutze die Mittagspause um auf dem kleinen Weg meine Runden zu drehen. Der Regen hat aufgehört und die anderen Mädels nutzen die Zeit meistens um auf ihren Betten zu liegen, oder Wäsche zu waschen. Ich denke über die Worte des Lehrers nach und ich besinne mich auf mein Erlebnis mit den Ameisen. Ja es hat doch funktioniert! Ich habe es doch erlebt! Ein emotionales Auf und Ab. Ich muss es nur wieder schaffen, meine Gedanken auf mich und auf meinen Körper zu richten, ohne innerlichen Druck. Mir geht es besser. Ich laufe noch ein paar Runden mit langsamen Schritten, auf einmal höre ich ziemlich lautes Rascheln im Gebüsch. Die Äste an den Bäumen bewegen sich heftigst auf und ab. Oh Gott…was ist das? Ich bleibe stehen, schau und entdecke Affen, die sich von einem Baum zum anderen hangeln. Mir wird wieder bewusst - Ich bin hier in der Wildnis.

Ich habe noch Zeit und so setze ich mich auf die Stufen vor der Meditationshalle und beobachte, nicht mich selbst….sondern die anderen. Da ist das eine Mädel aus Indonesien. Sie ist mir schon die ganzen Tage aufgefallen. Jeden Tag, immer und immer wieder schleppt sie in den Pausen ihr Bettzeug, inklusive der Matratze raus an die frische Luft und wieder rein. Ihr Zeug stinkt sicher so eklig, wie meins in der Mini-Hall. Jeden Tag duscht sie ein paar mal und wäscht ihre Sachen. Außerdem plagt sie eine Erkältung, sodass sie während der Sitzungen ständig laut niest und schnüffelt. Ich habe wirklich Mitleid mit ihr. Klamotten und die stinkenden Bettlaken waschen gehört hier überhaupt mit zu der Hauptbeschäftigung in den relativ kurzen Pausen. Und so ist die ewig lange Wäscheleine ständig voll behangen. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Ein paar laufen spazieren, andere wiederum machen Yoga, obwohl es nicht erlaubt ist, manche sind auf ihren Zimmern. In einigen Gesichtern erkenne ich die Verzweiflung und ich denke, ich bin nicht allein. Schon an dem Elan, wie man sich nach der kurzen Pause zwischen den Sitzungen wieder zurück in die Halle bewegt, erkennt man die Motivation - Manche warten, bis sie geholt werden, aber keiner gibt auf.  Und da erblicke ich die kleine Khau. Sie sitzt auch neben mir beim Essen, immer akkurat und kerzengerade. Sie ist so zierlich und isst soooo viel und in einem Tempo, dass ich denke, wo sie das nur alles hinfuttert. Immer ist sie die erste, die sich Nachschlag holt. Ich bin schon von einem Teller so satt.
Irgendwann habe ich auch diesen emotionalen Tag geschafft. Bei der Gelegenheit fällt mir ein, dass es mir überhaupt nicht schwer gefallen ist, mit dem Rauchen aufzuhören. Nicht einmal kam mir der Gedanke, ich müsse mir jetzt eine Zigarette anzünden.....Wann auch!?.....

Der Gong bestimmt unseren Tagesablauf. Tag 8. Die Sitzung beginnt pünktlich um 4:30 Uhr. Ich höre, wie immer zu jeder Meditation, der Stimme aus dem Lautsprecher genau zu und konzentriere mich. Ich versuche mir das vor Augen zu halten, was mir der Lehrer gestern gesagt hat. Mit ruhigem Geist, vollem Gleichmut die Empfindungen im Körper beobachten – ich versuche lange Zeit geistig vom Kopf bis zu den Zehen und wieder zurück zu wandern….observe….observe….Equanimity…..Equanimity …….. Anicca…….Anicca……Und dann plötzlich habe ich ein Erlebnis, dass ich so schnell nicht vergessen werde. Es ist als ob mein Kopf von einer Schraubzwinge befreit wird, als ob schwere Ketten, die um meinen Kopf gewickelt waren, gesprengt werden. Ich erlebe ein Gefühl von unglaublicher Leichtigkeit und Leere in meinem Kopf. Alles ist weg – es fühlt sich so unbeschreiblich schön an. Ich möchte nicht, das es wieder aufhört. und so passiert es, dass ich es doch tatsächlich schaffe, eine Stunde in einer Position zu sitzen und ich fühle mich unglaublich gut – leicht und frei! Ich bin den ganzen Tag geflasht von diesem Erlebnis, versuche aber, mich nicht zu sehr hineinzusteigern. Denn Vipassana lehrt……so wie alles entsteht…..so vergeht es auch wieder…….Anicca, Anicca.  Anhaften an Dingen oder Gefühlen ist nicht richtig. Mein Kopf ist trotzdem immer noch frei und ich genieße den Zustand. Die Mittagspause verbringe ich auf meinem Zimmer im Bett. Ich bin in Gedanken versunken….noch 2 Tage…..dann hab ich es geschafft. Es klopft an der Tür, Maria kommt herein und sagt zu mir leise flüsternd, dass mich der Lehrer in 5 min sprechen will. Ich bin erstaunt und frage mich, was er wohl von mir will? Ich mache mich auf den Weg zur Meditation-Hall. Ich betrete den Raum und er winkt mich zu. Ich setze vor ihm auf dem Boden. Er sagt zu mir, er hätte gesehen, wie ich mich Tag für Tag bemüht habe mit meiner Sitzposition klar zu kommen. Als Belohnung darf ich ab heute, bis auf die Gruppesitzungen, die letzten 2 Tage in meinem Zimmer liegend meditieren. Ich schaue ihn freudestrahlend an wie ein kleines Kind, das Süßigkeiten bekommt und bin happy!! Er lacht…..

Tag 9 – der vorletzte Tag. Eigentlich darf ich ja auf meinem Zimmer meditieren, aber ich habe doch tatsächlich ein schlechtes Gewissen und gehe in die Meditationshalle zu den anderen. Jetzt habe ich es soweit geschafft, Tag für Tag hab ich die Schmerzen in meinen Beinen und Knien ertragen, hab mit meinem Geist und meinem Körper gekämpft, da werde ich doch auch noch die letzten 2 Tage aushalten!!! Zumal heute der letzte volle Tag ist, den wir 10 Stunden mit meditieren verbringen und der Ehrgeiz hat mich gepackt. Vielleicht habe ich ja nochmal ein Aha-Erlebnis? Morgen, am 10. Tag dürfen wir reden und das kann ich mir im Moment gar nicht vorstellen!   

Tag 10 – morgendliche Routine. Aufstehen – Meditation – Frühstück – Meditation………Nach der Sitzung um 9:00 dann ertönt auf einmal durch den Lautsprecher Goenka´s Stimme und gibt uns zu verstehen, dass wir am Ende des Kurses angekommen sind und nun die „edle Stille“ beendet sei. Wir erheben uns von unseren Kissen und verlassen den Raum. Es dauert ein wenig, bis wir realisieren, dass nun alles vorbei ist und wir nun reden dürfen. Nach anfänglichen Zögern platzt es dann aber aus jedem raus und auf einmal ertönen um mich herum alle möglichen Sprachen wild durcheinander….spanisch, englisch, französisch, japanisch…. Wir sind happy und müssen laut lachen und fragen einander nach seinen Namen. Meine Zimmergenossin kommt zu mir und stellt sich vor. Ihr Name ist Carolina. Schon komisch, da teilt man viele Tage ein Zimmer, ohne den Namen des anderen zu kennen. Sie entschuldigt sich auch gleichzeitig bei mir, wegen der Reaktion auf mein Mückenspray…. Das hab ich jedoch längst vergessen. Und ich bedanke mich für die Abende mit dem Duft ihrer Räucherstäbchen – ein Luxus in der Umgebung, bevor wir uns umarmen. Der abgesperrte Bereich vor der Halle ist jetzt offen und so versammeln wir uns alle auf dem Areal. Es ist eine Art Zusammenführung nach 10 Tagen. Die Männer sind ebenfalls erlöst und so trudelt einer nach dem anderen, mit bedächtigen Schritten auch auf dem Stückchen Wiese ein. Überhaupt sind die Männer nicht so gesprächig, während die Frauen alle laut schnatternd ihre Erlebnisse teilen. Hinten, unter dem Dach, sitzen an einem Tisch Khim und der Lehrer mit dem großen Buch und einer riesigen Alubox. Ich erkenne darin die Stofftaschen und die Briefumschläge. Heute bekommen wir unsere persönlichen Sachen zurück. Alles, außer dem Pass.
Dann treffe ich William und Tobias. William ist sichtlich angetan von seiner Erfahrung und erzählt mit großen Augen und ausschweifenden Armbewegungen von seinen Erlebnissen. Tobias ist die Ruhe selbst, so wie ich ihn während der ganzen Tage in den Meditationen erlebt habe. Er saß schräg vor mir auf der Männerseite. Er bewegte sich die ganzen Tage wie in Trance und saß wie ein Buddha. Ich bewunderte ihn für seine Ausdauer. Wir plaudern noch ein wenig und tauschen unsere Erfahrungen aus. Alle anderen über den Platz verstreut. Manche sitzen allein und manche plaudern in Gruppen. Ich sehe Victor wieder – er sieht aus, als ob er sich immer noch in der Meditation befindet, abwesend wandelt er wie ein Geist.
Am Ende des Platzes steht eine etwas marode Bankreihe. Ich setze mich drauf und genieße den schönen Blick auf den See. Ich denke an meine Familie, an all meine Freunde zu Hause und in mir schießt der Gedanke hoch „Sie wissen Nichts“……….
Trotz reden durften wir nicht unsere Meditationssitzungen vergessen. Das sollte ein langer Tag werden. Abends sitze ich noch in lustiger Runde mit ein paar Mädels zusammen.  Amerika, Mexiko, Kanada, Türkei, Rumänien, Schweiz und Deutschland vereint auf einem Zimmer. Jeder erzählt seine Geschichte, wir lachen viel und löffeln gemeinsam Erdnussbutter aus nem Glas. Wir haben so viel Spaß, dass wir glatt die Zeit vergessen. Es ist schon 23:30 Uhr…und ich bin müde vom ganzen Tag Reden.

Tag 11 – der letzte Morgen-Gong, die letzte Meditation, das letzte Frühstück – es fühlt sich komisch an. Die 10 Tage sind rum und ich kann es gar nicht glauben. Irgendwie habe ich mich mit der Zeit so an die tägliche Routine gewöhnt, dass ich glaube, den 4 Uhr Gong tatsächlich zu vermissen. Es ist komisch, dass nun alle reden, wo sonst so früh die Stille herrschte. Trotzdem müssen wir uns besinnen, denn es heißt nochmal um 4:30 Uhr für 2 Stunden Morgenmeditation. Ich sitze da und heute gelingt es mir nur, mich stückweise zu konzentrieren. Meine Gedanken beschäftigen sich mit dem, was ich die letzten 10 Tage erlebt habe…..Ich blicke zurück auf den Anfang, wie schwer es mir gefallen ist und ich bin stolz auf mich, dass ich durchgehalten habe. Ich denke…´das letzte mal auf meinem Sitzkissen……das letzte mal den Lehrer vor Augen…..das letzte mal der Stimme von Goenka lauschen…….das letzte mal mit all den Menschen in dieser Halle meditieren…..´
Nach dem Frühstück dürfen wir gehen. Jeder packt seine Sachen. Es wimmelt um mich herum. Ich stopfe alle meine, nach Schimmel stinkenden Sachen, schnell in den Rucksack. Unseren Pass bekommen wir noch ausgehändigt, bevor wir uns herzlich voneinander verabschieden. Für alle geht die Reise in unterschiedliche Richtungen weiter. Für mich gibt es im Moment nur ein Ziel – ein schönes, sauberes Zimmer mit Bad und Klamotten waschen.....

Die vergangenen 10 Tage waren in jedem einzelnen Moment eine Herausforderung für mich. Ich habe während dieser Zeit sehr viel über mich, meine Gedanken und meinen Körper erfahren. Ich gehe von hier weg mit einem Gefühl der inneren Zufriedenheit und mehr Weisheit. Es ist schwer zu erklären, was ich mit Weisheit meine…..es kann nur derjenige verstehen, der ebenfalls Vipassana-Meditation praktiziert hat. Ein Wort und dessen Bedeutung wird mich aber ab jetzt mein ganzes Leben begleiten……… Anicca – Alles ist vergänglich und nichts von ewigen Bestand. 
Goenka sagt: „Wahre Weisheit ist zu erkennen und zu akzeptieren, dass jede Erfahrung vergänglich ist. Mit dieser Einsicht wirst du nicht durch die Höhen und Tiefen überwältigt. Und wenn du in der Lage bist, ein inneres Gleichgewicht zu halten, kannst du dich dazu entscheiden, in einer Weise zu handeln, die Glück für dich und andere schafft.“



 









die Unterkunft des Lehrers


links die Mini-Hall.... meine erste Unterkunft


....und dann ganz unten, die Hütte mit dem Blechdach,  meine zweite

der kurze Rundweg

mein Zimmer



...eines von tausend Insekten

links die Meditation-Hall

mein Essplatz


meine Mitstreiter.....leider fehlen schon ein paar

die Dinning-Hall


der Meditationsraum - die Kissen mussten wir schon wegräumen

der ehemals abgesperrte Bereich




Geschafft!!!

Kommentare

  1. Meine Liebe, ich bin soooo sehr beeindruckt, wie Du das geschafft hast. Ich denke sehr viel an Dich und versuche immer, dabei zu sein bei dem, was Du machst und erlebst. Und wir dachten in Island schon, dass dort alles ganz schön schlicht war ..... :-). Eine schöne Weiterreise wünsche ich Dir und freue mich, wenn Du wieder postest. Be Happy!

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    1. hi süsse,ich muss auch oft an dich denken.du hättest dort sicher die krise bekommen.aber wenn du siehst, wie manche menschen hier leben, dann war das dort noch reiner luxus.....ich bin auch stolz auf mich, dass ich es geschafft habe und die erfahrung machen durfte...be happy :-))

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    2. hi süsse,ich muss auch oft an dich denken.du hättest dort sicher die krise bekommen.aber wenn du siehst, wie manche menschen hier leben, dann war das dort noch reiner luxus.....ich bin auch stolz auf mich, dass ich es geschafft habe und die erfahrung machen durfte...be happy :-))

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  2. Liebe Silvana, das hast Du wieder ganz wunderbar geschrieben. Beim Lesen dachte ich, dabei zu sein. Und besonders bewundere ich Dein Durchhaltevermögen bei dieser im Nachhinein sensationellen Erfahrung. Freue mich auch darauf, wieder von Dir zu lesen, wünsche Dir weiterhin alles Gute und viele neue Erfahrungen und Eindrücke. Und bin gespannt, wohin Du als nächstes reist und was Du dort erleben wirst. Bis dahin, alles Liebe aus Deutschland!

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    1. meine liebe ute, vielen dank für dein feedback.es freut mich sehr, wenn ich dir das gefühl vermitteln konnte dabei zu sein. ich hänge mit dem schreiben etwas hinterher. zwischenzeitlich hab ich schon wieder einiges erlebt....lass dich überraschen.
      liebe grüße und be happy:-))!!

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    2. meine liebe ute, vielen dank für dein feedback.es freut mich sehr, wenn ich dir das gefühl vermitteln konnte dabei zu sein. ich hänge mit dem schreiben etwas hinterher. zwischenzeitlich hab ich schon wieder einiges erlebt....lass dich überraschen.
      liebe grüße und be happy:-))!!

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  3. Freue mich schon darauf und bin gespannt :-)))

    Werde übrigens im Februar auch eine Ayuerveda-Kur auf Sri Lanka machen - aber im Vergleich zu Deinen Erfahrungen wird das der reine Wellness-Luxus-Urlaub ;-)

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    1. ja...da bin ich mir sicher :-)) sind ja auch zwei völlig verschiedene sachen. ayurveda ist gut für die Seele...genieß es!!

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