Freitag, 16.6.17

Heute zum Frühstück fragt mich Tsering, was ich denn geplant hätte  und ob ich nicht Lust hätte nach Bhaktapur zu fahren.  Eigentlich wollte ich heute "zu Hause " bleiben, lesen und ein wenig relaxen, aber ich konnte wiedermal nicht NEIN sagen. Erwähne nur noch kurz, dass ich mich um 16:00 Uhr mit Wolfgang auf einen Abschiedskaffee verabredet habe. Okay..08:15 Uhr Abfahrt, also Mundschutz auf wie immer und drauf auf den Roller, den steilen Berg hinunter. Unten an der Ringstraße angekommen, müssen wir die wieder irgendwie überqueren. Diese Straße führt wie ein Ring um Kathmandu. Sie wird meist 4spurig befahren, aber eben ohne Markierung. Das heißt, alles fährt wie immer kreuz und quer. Da kann es auch mal passieren, dass vor einem ein paar Geisterfahrer erscheinen, oder einem auch eine Kuh entgegen kommt. Alles völlig normal und ich gewöhne mich mit der Zeit auch daran, ohne einen Schreck zu bekommen. Da es ja aber keine Ampeln gibt und meistens auch keinen Polizisten, der den Verkehr regelt, heißt das Augen zu und durch. Also fährt Tsering einfach los und kreuzt mitten durch den rauschenden Verkehr. Ab und zu mal kurz halten, da nicht jeder langsamer fährt und uns vorbei lässt. Einen kurzen Schlenker um einen LKW rum, und schon haben wir es geschafft - Juhu!!!! Und weiter geht es quer durch die Stadt, ihren Chaosverkehr, ihre dreckige Luft und ihre engen Gassen. Ich wusste, dass Bhaktapur südöstlich von Kathmandu liegt und eine geschichtsträchtige Stadt ist, die man unbedingt gesehen haben soll. Ich hatte mir vorher aber überhaupt keine Gedanken gemacht, wie lange die Fahrt dauern würde. Das sollte ich dann merken, als wir unendlich lange unterwegs waren. Mir tat schon mein Hintern weh von den unzähligen Schlaglöchern und ich hoffte bald da zu sein. Wir kamen dann irgendwann auf eine richtig gut ausgebaute 4-spurige Straße, sogar mit Markierung und Ampeln. Tsering gibt jetzt richtig Gas und genießt das. Der Fahrtwind bläst mir ins Gesicht. Ich schnappe nach Luft. Ich konnte es als Kind schon nicht leiden, wenn mir der Wind ins Gesicht blies. Und ich habe zu tun, meinen Mundschutz festzuhalten, damit er mir nicht über den Augen hängt. Während der rasanten Fahrt dreht er seinen Kopf zu mir um und erklärt mir durch den Mundschutz: „This street was build by the Japanese Goverment.“ Ah..da haben die Japaner ein Stück Straße finanziert. Sogar mit Markierung und Ampeln….nur hier interessiert das herzlich wenig. Es fahren trotzdem alle durcheinander und Tsering fährt auch mal bei Rot über die Ampel….nichts passiert…
Nach 1 ½ Stunden Fahrt sind wir endlich angekommen. Wir schlängeln uns mit dem Roller durch die engen Gassen und suchen einen Parkplatz. Die ganze Stadt ist ein einziges Museum. Ich muss Eintritt zahlen, 1500 Rupien, fast 15€. Teuer, denke ich….aber der Erlös wird zum Wiederaufbau der Gebäude verwendet, die beim Erdbeben zerstört worden sind und das sind viele, deshalb gebe ich das Geld gerne. Tsering braucht, als Nepalese wie immer keinen Eintritt zu bezahlen. Wir schlendern durch die Gassen. Ich sehe viele Touristen und doppelt so viele Souvenirshops. Ich sehe viele zerstörte alte Gebäude, davor jeweils ein Foto vom Originalzustand. So bekommt man einen Eindruck davon, welch ungeheure Kraft hier gewütet haben muss, um solch prachtvolle und große Bauwerke zum Einsturz zu bringen. Das bewegt mich sehr. Wir laufen weiter. Tsering will mir unbedingt die Göttin Tara zeigen. Er erzählt mir, dass er vor 6 Monaten mal hier war, aber er hätte nun vergessen, wo sie steht. Also fragt er sich durch, ich laufe hinter ihm her. Wir gehen in eine Gasse, er biegt links ab und nun stehen wir mitten in einem Laden, der selbstgeschöpftes Papier in allen möglichen Arten, u.a. als Kalender, Bücher, Briefpapier, Notizbücher, verkauft. Alles ist sehr dreckig und staubig. ˋPeacock Shop – Paper Factory´ steht auf einem Schild. Tsering unterhält sich lebhaft mit dem Verkäufer. Ich verstehe kein Wort, aber ich sehe, dass er  sichtlich erfreut ist. Er macht eine Seitentür auf und ich denke, nun hat Tsering seine Tara gefunden. Der Mann führt uns über den Hof in ein Hintergebäude und ehe ich mich versehe, stehe ich in den Räumen, wo das Papier hergestellt und verarbeitet wird. Nichts mit Tara…aber Super interessant……. Wir laufen die Treppen weiter nach oben. Ich sehe, dass überall gebaut wird. Wir kommen in einen Raum, der von vielen Holzsäulen getragen wird. Aber nicht von ganz normalen Holzsäulen. Ich erkenne unheimlich schöne geschnitzte Verzierungen. Als ich genauer hinsehe, sind das nicht nur irgendwelche Verzierungen. Es sind zum Teil einzelne Geschichten über Buddha die auf den Holzbalken erzählt werden. Der Mann aus dem Laden erklärt mir in gebrochenem Englisch, dass sich in dem Haus über 3000 solcher Schnitzereien befinden, die alle sein Onkel gemacht hat. Ich bin fasziniert. Wir gehen noch weiter nach oben. Selbst die Treppengeländer, alle voll Schnitzereien. Oben auf dem Dach angekommen werkeln ein paar Handwerker. Ich schaue mich um und sehe viele, durch das Beben zerstörte Häuser. Da steht auch der Onkel mit weißem Hemd, schwarzer Hose und Rucksack und gibt den Handwerkern Instruktionen. Der Mann aus dem Laden stellt uns vor. Tsering und der Onkel verfangen sich sofort in tiefe Gespräche. Ich kann nur erahnen, worüber sie sprechen. Dann plötzlich geht es wieder eine Etage die Treppen runter. Wir halten vor einem Raum, alle Schuhe aus und ein. Ich folge und betrete ein riesen großes Zimmer. Küche, Wohn- und Schlafzimmer….alles in einem. Und wieder überall Balken mit diesem wunderschönen Schnitzereien – es ist die Wohnung des Onkels. Er spricht mit Tsering auf Nepali und ich höre die Emotionen in seiner Stimme. Er greift in ein Regal hinter seinem großen Bett und holt ein dickes Buch raus. Es ist voll Zeichnungen. Zwischendurch ein paar englische Sätze: „ This book are full of drawing.“ Er blättert in dem Buch und wir sehen unglaublich viel Skizzen mit Bleistift gezeichnet. Er holt noch eine Art Schriftrolle, auch alle mit Skizzen über die buddhistische Geschichte. Er erzählt uns, dass er 20 dieser Bücher mit Skizzen hat. Alle dienen als Vorlage für die Schnitzereien im ganzen Haus. Ich bin beeindruckt. Er erzählt weiter auf englisch, dass er sich für die buddhistische und hinduistische Geschichte sehr interessiert und Forscher der newarischen Kultur ist und früher Richter der Regierung war. Und da die Geschichte beider Götterwelten für die Menschen, die nicht in Nepal, Indien oder Tibet leben, sehr kompliziert ist, hat er mit seinem Neffen ein Buch darüber geschrieben. Übersetzt wurde es in viele Sprachen, darunter auch in die deutsche Sprache. Ich bin neugierig und frage, ob er es hier hat. Er bejaht….wir gehen runter in den Shop und er holt mir aus einem riesigen staubigen Regal tatsächlich das Buch in deutsch. Schön eingepackt in einer durchsichtigen Plastikhülle, vom Staub geschützt. Er packt es mir aus und gibt es mir in die Hand. Jetzt ist das kein gewöhnliches Buch, so wie wir es uns vorstellen. Ich halte in meiner Hand ein Buch, was von Anfang bis zum Ende in dem kleinen Betrieb hergestellt wurde. Ein Buch aus handgemachten Lokta Papier, das hier geschöpft wird. Ein Buch, das auch hier in den Räumen mit einer alten Druckmaschine im handgefertigten Blocksatz gedruckt wurde. (ich hab die Maschine selbst gesehen). Der Titel „Einblick in die Götterwelt von Nepal und Tibet“ – ich schlage es auf . Es trägt die Signatur des Autors Suyog Prajapati, das Datum 04.10.2012 und eine Nummerierung….Book No. 409. Ich bin fasziniert. Es ist zwar nicht billig, aber ich muss es haben. Ich kann zum Glück mit Kreditkarte zahlen….und es wird dadurch gleich nochmal 200 Rupien (knapp 2€) teurer…aber egal. Also zahle ich insgesamt 5200 Rupien, was umgerechnet 45€ sind, aber das ist es mir wert. Satya Narayan Prajapati, so der Name des Onkels, holt sogleich ein riesig dickes altes Buch und bittet mich, mich hier einzutragen. In dem Buch sind alle Käufer aus aller Herren Länder festgehalten. Ich schreibe meinen Namen und meine Adresse hinein. Die Nummer des Buches wird noch zu meinem Namen notiert. Ich bin fasziniert. Wir verabschieden uns herzlich und gehen weiter. Immer noch auf der Suche nach Tara. Ein paar Straßen weiter, ganz versteckt in einem Hinterhof findet Tsering endlich die Göttin in einem kleinen Gebäude. Wir ziehen die Schuhe aus und betreten die heilige Stätte. Ich setze mich hin, schaue Tsering bei seinem Ritual zu und bin unsicher, weil ich nicht weiß, was ich machen soll. Er zündet dann eine Kerze an und ich denke, das kann ich wenigstens, also tue ich es auch. Danach stellen wir uns beide vor die Stupa und beten, bevor wir wieder gehen. Mittlerweile ist es schon nach 13 Uhr. Wir wollen noch zu der hinduistischen Tempelanlage von Pashupatinath, die wiederrum in Kathmandu liegt. Also rauf auf den Roller und eine Stunde Fahrt wieder zurück nach Kathmandu. Ich denke..ob ich zum Kaffeetrinken mit Wolfgang noch rechtzeitig ankomme?.....ich greife mal vor…Nein










Kommentare